Zu welcher Sorte Mensch sollte
man sich zählen, wenn man sich im fortgeschrittenen Alter in Internetforen
„herumtreibt“? Muss man sich deshalb schämen? Oder ist die Frage falsch
gestellt und man sollte sich besser fragen: Zu welcher Sorte Mensch sollte man
sich zählen, wenn man zu fragen imstande ist, zu welcher Sorte Mensch man
gehöre?
Dass es im 21. Jahrhundert dabei
nicht um menschliche Rassen geht, mit dem „Rassebegriff“ hat
man ja doch ein-für-alle-mal - Schluss gemacht hat, sollte sich von selbst
verstehen.
Vielleicht ist das aber auch gar
nicht von Bedeutung. Aber was ist schon von Bedeutung? Sind wir als Individuum
von Bedeutung? Ist wirklich jedes Leben von Bedeutung? Wenn ja, worin besteht
sie, die Bedeutung? Ist sie jedem Leben inhärent oder müssen wir sie dem Leben
erst verleihen? Und wenn, warum verleihen
wir sie bloß und geben sie nicht hin,
ganz und gar, ohne Möglichkeit des Widerrufs?
Auch wenn man sich nicht zu den
Jüngern verschrobener „Esoterik“ zählen will, die meinen, dass der
Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings auf der einen Seite der Welt
geschlagen, auf der ihr gegenüberliegenden einen Wirbelsturm auszulösen die
Kraft entwickle, müssen wir uns eingestehen, unsere Handlungen zeitigen Wirkungen
und Ergebnisse, und diese Ergebnisse haben wiederum Folgen, die ihrerseits zu
Folgen und Ergebnissen führen, auch wenn
sich diese unter Umständen erst nach Jahrzehnten offenbaren.
Über den Wert des Internets im
Allgemeinen und seiner „sozialen Plattformen“
auf denen zu oft mit großem Eifer ein
inniges Bestreben sichtbar wird, anstelle eines sonntäglichen
Stammtisch-Besuchs, so wie es Tradition wäre in unserem Land, die eigene, meist
wenig durchdachte Meinung lauthals zum Besten zu geben, kann man durchaus
unterschiedlicher Ansicht sein. Während die einen die ungeheuren Möglichkeiten
des öffentlichen Meinungsaustausches feiern, die völkerverbindende Wirkung
dieser internationalen Vernetzung rühmen, sehen die anderen darin eine
Verkümmerung des direkten Austausches, der Vereinzelung, beklagen den Niedergang der Sprache.
Unbestritten ist: Das Internet führt
Leute zusammen! Ob diese im Grunde „wertfreie“ Funktion zum Positiven oder zum
Negativen verwendet wird, ist natürlich den Vorlieben und Gelüsten der
Teilnehmer beziehungsweise den seelischen Abgründen und Verirrungen derselben
überlassen.
Im nachfolgenden Fall zeigte sich jedenfalls des Internets erfreuliche, das Leben bereichernde Tendenz. Und das
kam so:
Ich hatte mich gerade eben über
einen Text geärgert, dem erst unlängst ein nicht unmaßgeblicher Preis verliehen
wurde:
Neulich bekam
ich eine Freundschaftsanfrage über Facebook. Ich
bekomme oft solche Anfragen und weiß immer nicht, ob ich sie
beantworten soll, was sie mir bringen könnten, mal davon abgesehen,
dass Facebook ein Wartesaal für Idioten ist und ich mich seit Jahren
frage, was mache ich hier eigentlich, aber dann kam eben diese Anfrage,
und die war interessant, und vielleicht läuft es ja darauf hinaus, dass wir
alle auf sowas warten. Die Anfrage kam von einer Irma, und ich wusste
augenblicklich, wer das ist. Es waren ja nur ein paar Monate, und jetzt
sind 30 Jahre vergangen. Und alles begann und endete mit einem Zettel
auf dem Küchentisch.
bekomme oft solche Anfragen und weiß immer nicht, ob ich sie
beantworten soll, was sie mir bringen könnten, mal davon abgesehen,
dass Facebook ein Wartesaal für Idioten ist und ich mich seit Jahren
frage, was mache ich hier eigentlich, aber dann kam eben diese Anfrage,
und die war interessant, und vielleicht läuft es ja darauf hinaus, dass wir
alle auf sowas warten. Die Anfrage kam von einer Irma, und ich wusste
augenblicklich, wer das ist. Es waren ja nur ein paar Monate, und jetzt
sind 30 Jahre vergangen. Und alles begann und endete mit einem Zettel
auf dem Küchentisch.
Geärgert auch deswegen, weil mir diese Zeilen einen geradezu idealen Übergang von einem zum
anderen Gedanken zu vermasseln drohten,
den ich selbst zu nutzen beabsichtigte. Egal, denke ich, warum nicht mit eben
demselben nur deswegen nicht beginnen, weil sich eine im Grunde unbedeutende
Jury in Kärnten auf diesen einen, wie ich meine, gar nicht so großartigen Text
geeinigt hatte; sich darüber hinwegzusetzen, sollte doch nicht schwer fallen.
Also; neulich bekam ich eine
Freundschaftsanfrage über Facebook. Ich bekomme allerdings, ganz im Gegensatz
zu Rubinowitz, solche
Anfragen höchst selten. Das hat naturgemäß mit mir zu tun und den Vorteil, dass
ich meistens nicht wie er von Idioten, sondern durchwegs von Leuten angefragt
werde, die man gerechterweise nicht dieser Gruppe zuordnen darf.
Auch die Frage, was ich dort, was
ich auf Facebook tue, stellt sich mir tatsächlich selten; es ist mir klar: Ich
pflege Freundschaften, die anders zu pflegen nicht gerade unmöglich, so doch
schwierig wäre; und dann kam also diese
Anfrage, die auf den ersten Blick wenig interessant erschien, weil ich im
Gegensatz zu Rubinowitz überhaupt nicht wusste, wer diese Frau, die
offensichtlich darauf aus war, in meinen unbedeutend kleinen Freundeskreis
aufgenommen zu werden, sein könnte. Nein, sie hieß nicht Irma.
Das mit der Anfrage mitgelieferte
Bild, zeigte eine Frau, mir gleichaltrig schätzte ich sie ein, rundliches,
freundliches Gesicht, unauffällig, Hausfrau und Mutter auf den ersten Blick,
aber man täuscht sich oft, denke ich sofort, hinter solchen Allerwelts-Typen
verbergen sich hin und wieder Genies, denen ob des ungerechten ersten Eindrucks
oft Abbitte geleistet werden muss. Vielleicht doch eher eine Mathematikerin mit
Lehrauftrag der Technischen Hochschule und Aussicht auf den Nobelpreis? Wer
weiß?
Während dieser Gedanke noch
unabgeschlossen, sich in die Weiten der Phantasie ausdehnte, verfing sich meine
Aufmerksamkeit in einer kleinen, dem Gesicht eigentümlichen Besonderheit, die mir
diese Unbekannte näherzubringen schien. Ein
zweiter Blick belehrte mich, es war kein Allerweltstyp, der mir da entgegen sah.
Eine kleine Unregelmäßigkeit in der vorderen Zahnreihe war es, die mir
auffiel. Eine Erinnerung, nein, eine Ahnung einer Erinnerung nur, schien sich
zusammenzubrauen.
Da war doch vor vielen Jahrzehnten Gigi ein kleines süßes Mädel von dreizehn Jahren gewesen, eines mit tiefgründig intelligenten
Augen und wachem Verstand, die ihre blonden Haare in einer Art trug, wie sonst
keine; Haare hatte sie, die starken Flüssen gleich von rechts und links in ein gemeinsames Bett gebracht, zu einem
kunstvollen Zopf verflochten, den verführerisch jugendlichen Nacken dem Blick
freilegten. Eine der ersten Verliebtheiten.
Gigi fand mich einst
wert, mit ihr Hand in Hand zu gehen; lud mich zu einem Spaziergang in die Grazer Altstadt,
führte mich von der Bürgergasse die Treppe zum Dom hinauf, um mich oben an
dessen Hinterseite noch zu einem Besuch der Taufkapelle zu überreden. Einzelheiten
darüber hinaus, sind für immer verloren. Ich weiß nur noch vom unbändigen
Wunsch, ihr dort vor dem Angesicht der Heiligen einen Kuss abzuverlangen und von
den schmerzlichen Zweifeln, ob es gestattet sei, diesen Wunsch zu äußern; weiß noch von den Zweifeln, ob Aussicht auf
Erfüllung bestehe. Meine Phantasie sagt
mir heute ganz gegen meine Erinnerung: er wurde mir in zartester, in
unschuldigster Weise gewährt.
Wie die Sache zu Ende ging?
Sie ging zu Ende wie
„Liebessachen“ im Alter von dreizehn Jahren eben zu Ende gehen. Ohne großen
Streit, ohne Vorwürfe, ohne, dass ein Weltuntergang befürchtet hätte werden
müssen. Sie verlief sich die Liebe, ohne dass ihr Ende eines lauten Donnerschlags bedurft hätte.
Auf diese Weise beendet, befähigte
diese ehedem gebrochene Herzens-Verbindung durch ihre unvorhersehbare
gedankliche Auffrischung nach fünf Jahrzehnten zu erinnerten Glücksgefühlen,
die den meisten ungetrennt gebliebenen Liebespaaren wohl verwehrt bleiben.
Ich sollte diese Anfrage
annehmen, dachte ich.
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