Samstag, 27. Juli 2013

Mangold scheitert


Wann genau der Zeitpunkt gekommen war, an dem ihn seine Seele verließ, wusste Mangold nicht. 

Aber eines Tages sei es eben soweit gewesen. Irgendwann hätte er ganz damit aufgehört, seine Umwelt zur Kenntnis zu nehmen, wurde über ihn festgestellt. Mangolds Arzt bestätigte später, dass „ der Patient“ über die, wie er sagte, bewundernswerte Fähigkeit verfüge, die ihm unangenehmen Dinge einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.  Rein organisch – so betonte der Arzt, der es immerhin bis zum "Medizinalrat" gebracht hatte und höchsten Wert darauf legte, auch mit diesem ihm verliehenen Titel angesprochen zu werden - sei mit Mangold alles in Ordnung gewesen; soweit man das überhaupt für einen menschlichen Organismus konstatieren könne. Obwohl, fügte er einschränkend hinzu, sogar für ihn als Hobby-Psychologen auffallend gewesen sei, dass sich Mangold,  das habe er in einer tiefschürfenden Anamnese herausgefunden, bereits als  Kind äußerst unbeherrscht und jähzornig verhalten habe. Auch die Recherchen, die er in den alten Schulakten des Volksschülers Mangolds betrieben habe, hätten zahlreiche Bestätigungen dieses, auch von ihm festgestellten Sachverhalts zutage gefördert.

Erst in seinen  letzten Lebensjahren habe Mangold es geschafft, sich - wie man so sage – „ besser in der Hand zu haben“. Mit zunehmendem Alter habe er gelernt, sich zu beherrschen.
„Ja“, sagte Mangold, „das kann ich jetzt!“ Das sage sich zwar so einfach, sagte Mangold, aber so einfach sei es nicht. „Man muss kontinuierlich dazu in der Lage sein, seinem Geist, wenn er ein widerspenstiger Geist sei, Befehle zu  erteilen!“, sagte Mangold.
Obwohl Mangold für seine Mitmenschen lange Zeit eine eigentlich uninteressante Person war, mit der zu beschäftigen sich nicht lohnte, war er ein Objekt der Beobachtung. Man hörte gelegentlich auch, Mangold hätte sich schon früh auf einen quasi-biedermeierlichen Standpunkt  geselliger Privatheit zurückgezogen, hätte sich  aber mit zunehmendem Alter immer mehr darauf beschränkt, nichts zu tun.
Andere sagten, sein einziges Vergnügen hätte letztlich nur darin bestanden, die Vorkommnisse in seiner Umgebung und die in seinem Leben  auftretenden Personen ebenso zu beobachten wie er sich beobachtet fühlte. Alle hätte er, wie Schauspieler und nicht wie Menschen behandelt. Was alle gekränkt hätte, sogar die Schauspieler. Mangold kränkte aber niemanden gerne. Er musste sich dazu überwinden. 

Später schrieb man, Mangold wäre an den politischen und sozialen Gegebenheiten, er wäre „an der Welt“ gescheitert. Sie alle irrten. Mangold scheiterte an niemandem und nichts, schon gar nicht „an der Welt“,  er sei immer nur an sich selbst gescheitert, sagte der Medizinalrat.