Mangold kaufte sich an einer Tankstelle, mit Absicht an einer, an der er sonst immer achtlos vorbeigefahren war, einen 5-Liter-Benzinkanister. Er füllte ihn noch an Ort und Stelle mit Superbenzin und redete, als er die Rechnung beglich, unaufhörlich etwas von Rasenmähen und davon, dass man dem Benzin ein spezielles Ober-Öl zumischen müsse.. Er glaubte, damit den Tankwart zu beruhigen, von dem er annahm, dass dieser sein Vorhaben durchschaue.
Für den Tankwart gehörte der Verkauf eines mit Superbenzin gefüllten 5-Liter-Kanisters aber zu den täglichen Routinen. Er war keineswegs beunruhigt, obgleich er sich über den Redeschwall, den Mangold losgelassen hatte, sehr wunderte.
Für den Tankwart gehörte der Verkauf eines mit Superbenzin gefüllten 5-Liter-Kanisters aber zu den täglichen Routinen. Er war keineswegs beunruhigt, obgleich er sich über den Redeschwall, den Mangold losgelassen hatte, sehr wunderte.
Mangold misstraute Bankomaten. Er zahlte mit einem „Zwanziger“ und ließ sich das Wechselgeld auf den Cent genau herausgeben. „Trinkgelder“ gab er schon lange keine mehr. Auch er habe niemals Trinkgelder bekommen, sagte er.
Anschließend fuhr Mangold zu einem der Tankstelle gegenüberliegenden Baumarkt. Er hatte vor, sich einen Anhänger auszuleihen, um mit ihm seine Habseligkeiten aus der Wohnung wegzubringen .
Alles, was geeignet sei, auf sein altes Leben hinzudeuten, das er nun endlich abzulegen gewillt war, wollte er vernichten. Alles sollte verbrennen, in Feuer aufgehen sollte es wie seine Seele.
Mangold erinnerte sich an einen der Katecheten seiner Schulzeit, bei dem er ein Schuljahr lang an den Bibelstunden teilgenommen hatte. Den Namen dieses Mannes hatte er vergessen, aber dessen markant gebogene Nase war ihm wegen ihres scharfkantigen Nasenrückens unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Diese Besonderheit verlieh dem Gesicht etwas adlerhaft Bedrohliches.
Jetzt erst fiel Mangold auf, dass an der Bibelstunde immer nur Knaben teilgenommen hatten. Eigenartig, dass ich mich gerade zu diesem Zeitpunkt an ihn erinnerte, sagte Mangold später.
Für damalige Verhältnisse seien diese Bibelstunden, ausschließlich für Knaben, nichts Absonderliches gewesen, sagte Mangold. Damals in den Sechzigern hatte man für die Zusammenführung der beiden naturgegebenen Geschlechter eben noch wenig übrig. Mädchen seien "anders" als Knaben, sagte man.
Das war ja auch noch vor der Zeit der sogenannten Demokratisierung der Gesellschaft durch die Sozialdemokraten, die sich damals übrigens noch Sozialisten nannten; Anfang der Siebziger waren sie durch eine knappe Mehrheit bei den Wahlen an die Regierung gekommen. Ungeschicktes Taktieren der Konservativen bei den Koalitionsverhandlungen hatte ihre Situation begünstigt.
Bald hatten sie in der Gesellschaft eine andere Auffassung davon wie man leben soll, eine andere Lebensart durchgesetzt. Mädchen und Buben sollten nun endlich gleich erzogen werden. Nur die Erziehung hätte sie bisher zu unterschiedlichen Menschen gemacht, verkündete man. Ja, der sozialistische Traum von der Egalität der Menschen trieb in den folgenden Jahren manch sonderbare Blüten, sagte Mangold. Man bestand darauf, den Unterschied zwischen Frauen und Männern möglichst aus der Welt zu schaffen. Er sei ja kein natürlicher Unterschied, sondern ein künstlich geschaffener, sagte man.
Viele glaubten es, sagte Mangold, und dass auch er es geglaubt habe, eine Zeit lang jedenfalls.
Was lag also näher, als dafür zu sorgen, dass die Söhne nicht mehr „Indianer und Cowboy“, sondern mit Puppen spielten und die Töchter eifrig mit Laubsägen bastelten.
Viele glaubten es, sagte Mangold, und dass auch er es geglaubt habe, eine Zeit lang jedenfalls.
Was lag also näher, als dafür zu sorgen, dass die Söhne nicht mehr „Indianer und Cowboy“, sondern mit Puppen spielten und die Töchter eifrig mit Laubsägen bastelten.
Die Seele sei ein unbeschriebenes Blatt, sagte man, spielte damit aber keineswegs an etwas überirdisch Mystisches an, sondern meinte den Charakter, die sogenannten geschlechtstypischen Verhaltensweisen von Menschen. Die Seele sei im Grunde für jede Art von Entwicklung offen, sagte man, es käme nur auf das entsprechende Angebot an. Die Natur erschaffe den Menschen immer gleich und der Mensch an sich sei gut. Zumindest solange, als er nicht durch seine Umwelt verdorben werde. Jean Jacques Rousseau war wiederaufgestanden. Keine Rede mehr von den Einflüssen der Hormone, keine Rede von der Wirkung des Testosterons auf die Psyche von Knaben oder davon, dass Mädchen unabhängig vom Umfeld aufgrund ihrer Prädisposition eine andere Entwicklung nähmen könnten als Knaben.
Wir sind dem Grunde nach alle gleich, lautete die Losung, wenn wir nur gleich erzogen würden.
Wir sind dem Grunde nach alle gleich, lautete die Losung, wenn wir nur gleich erzogen würden.
Der Herr Dechant war, was die Geschlechterrollen anlangte, anderer Meinung, aber schlau genug, dies für sich zu behalten.
Er erzählte uns vom Fegefeuer und von der Ewigen Verdammnis, die uns träfe, wenn wir uns nicht an die Zehn Gebote hielten oder gar die Sonntagsmesse versäumten, sagte Mangold. Das Fegefeuer erschien uns schrecklicher als alle anderen Strafen, denn verbrannt hatte sich jeder von uns schon irgendwann einmal. Eine „Verdammnis“ auch eine „Ewige“ fürchtete niemand von uns. Die Ewigkeit kann gegen die Jugend einfach nicht an.
Erst viel später habe er geglaubt, sagte Mangold, dass es Seelen geben musste. Seelen, die schon zu Lebzeiten ihrer Inhaber in das erst für das Jenseits vorgesehene Purgatorium wanderten. Eine solche Seele könnte vielleicht auch er gehabt haben, früher, hätte er gedacht, sagte Mangold.
Eines Tages aber musste sie ihn verlassen haben. Mit einem Mal war sie unauffindbar, eigenartiger Weise zu genau jenem Zeitpunkt, da er sie zu suchen begonnen hatte, sagte Mangold.