Freitag, 8. Juni 2018

Mangold liest Michel Houellebecq


Die massenhafte Einwanderung von Muslimen in Europa habe ihm anfangs, das gebe er zu, wirklich lange Zeit Sorgen gemacht, habe Mangold gesagt. Sorgen um seine und Europas Zukunft seien es gewesen, die ihn beunruhigt hätten. Anfangs habe er deswegen sogar Albträume gehabt. Immer wieder habe er im Traum die Bilder von den die Grenzen stürmenden dunkelhäutigen jungen Männern gesehen, wie sie Grenzbeamte zur Seite drängten, ohne sie in sonst in irgendeiner Weise zu beachten. Die endgültige Kapitulation des Rechtsstaates habe er damit einhergehen gesehen. Alle Grundsätze eines geordneten Staatswesens, die er noch vor wenigen Jahren bei seinem Staatsrechtsexamen auswendig habe hersagen müssen, hätten sich innerhalb weniger Stunden in Nichts aufgelöst. Schweißgebadet und nach Luft ringend sei er dann jedesmal aufgewacht. Nächtelang habe sich das wiederholt, solange bis er überhaupt darauf verzichtet habe, zu Bett zu gehen und einfach vor dem Fernseher sitzen geblieben sei, auf das Programmende wartend, das wie er damals immer noch geglaubt habe, durch die Bundeshymne zu einem endgültigen Abschluss geführt werde. Seit Jahren sei er nicht mehr solange vor dem Fernseher gesessen, wie damals in diesen schicksalhaften Tagen, habe Mangold gesagt. Stundenlang habe er sich durch die Kanäle gezippt. In erster Linie habe er natürlich nationale und internationale Nachrichtensender bevorzugt, um auf dem Laufenden zu bleiben, wie weit die Invasion der muslimischen Araber schon fortgeschritten sei.
Einmal sei er aber dann doch eingenickt und als er aufgewacht sei, habe er bemerkt, dass es weder einen offiziellen Sendeschluss noch eine damit einhergehende Bundeshymne mehr gäbe. Anfangs habe er geglaubt, den Sendeschluss und die Bundeshymne einfach verschlafen zu haben. Dann habe er aber doch, um Sicherheit zu haben, beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Gewaltsam habe er sich wach gehalten mit allerhand Hilfsmitteln. Aber die Bundeshymne sei einfach nicht gekommen. Da erst habe er verstanden. Ein Programmende gab es offensichtlich nicht mehr. Jeder Serie folgte eine andere, nach jeder Nachrichtensendung kam eine andere. So ging es wochenlang.
Und die Invasion hätte derweilen ungehindert ihren Lauf genommen, ohne dass sich ihr jemand in den Weg gestellt habe.
Im Gegenteil, habe Mangold gesagt, die europäischen Staaten, mit Ausnahme derjenigen des ehemaligen Ostblocks, schienen noch das Ihre dazu beizutragen, um die Invasion zu beschleunigen. Busse seien angemietet und Sonderzüge geführt worden. Die deutsche Kanzlerin habe eine Sondersendung nach der anderen bedient und eine freundliche Einladung um die andere ausgesprochen, was noch mehr Menschen ermuntert hätte, sich auf den Weg nach Mitteleuropa zu machen. Ja, so sei das gewesen damals, habe Mangold gesagt. Wir würden das schaffen, habe die Bundeskanzlerin betont und der österreichische Bundeskanzler und der französische und auch die meisten anderen, allen voran die Sozialdemokraten, die Linken, die Kommunisten im Verband mit den Grünen, die Liberalen nicht zu vergessen und die Kirchen hätten ihr, der Kanzlerin, vorbehaltlos zugestimmt, hätten sie in ihrer Meinung bestärkt.
So sei es über Monate gegangen. Anfangs seien die Invasoren, die man offiziell Flüchtlinge nannte, nur über Griechenland und die Balkanroute gekommen, später auch über das Mittelmeer nach Sizilien und natürlich auch über die Meerenge von Gibraltar, von Seuta aus seien sie in großer Zahl auch nach Spanien gekommen. Im Fernsehen seien fast immer Mütter mit Kindern gezeigt worden, größtenteils habe es sich aber um alleinstehende, junge, vitale Männer gehandelt, habe Mangold gesagt. Später habe man ihnen sogar erlaubt, ihre Familienangehörigen nachzuholen, weil Familienzusammenführung in Grundrecht sei, das man niemandem verweigern könne, habe man gesagt. Und so sei es gekommen, dass innerhalb von zehn Jahren, die muslimische Bevölkerung Europas auf fast zwanzig Prozent angewachsen sei und dann sei sogar die Regierungskoalition zwischen Konservativen, Linken und Liberalen in mehreren Ländern, vornehmlich in Deutschland und Österreich, die einen letzten Schulterschluss versuchten, mit einem Schlag abgewählt worden

Er  hingegen habe diese Entwicklung immer schon befürchtet. Diese Flüchtlingswelle, diese Invasion, habe ihm damals von Anfang an tatsächlich Angst gemacht, habe Mangold gesagt.
Er habe immer geahnt, dass die Muslime darauf aus seien, zuerst das kulturelle und dann das politische Kommando im Staat zu übernehmen. Er habe gewusst, dass es nicht lange dauern würde, und dann würde hier keiner mehr in die Oper gehen dürfen oder ins Theater und die einzige Musik, die zu hören gestattet sein würde, würde der Ruf des Muezin sein. Mangold aber habe sich immer als ausgewiesener Opernliebhaber zu erkennen gegeben, mit einer besonderen Vorliebe für das „Belcanto“, was ihn innerhalb seiner Opernfreunde aber immer etwas degradiert habe, da – so war die vorherrschende Meinung seiner Freunde - wahre Opernliebhaber sich bekanntlich zu Wagner zu bekennen hätten, habe er gesagt. Unter dieser die italienische Oper und ihn persönlich diskriminierenden Haltung habe er immer schon gelitten, habe Mangold gesagt.

Ja, er stehe zu seiner Angst, habe er gesagt, obwohl Angst eigentlich nicht das richtige Wort dafür sei, weil es sich bei Angst streng genommen um etwas Ungerichtetes, nicht genau Definierbares handle, habe Mangold gesagt. Er hingegen habe damals genau gewusst, wovor er Angst verspürte. Er habe eigentlich keine Angst, er habe Furcht gehabt. Aber alle Welt habe ihm gesagt, dass seine Furcht unbegründet sei, dass es sich um eine absolut unbegründete Angst handle. Manche meinten sogar, dass es sich um eine, wenn auch nur latent ausgeprägt vorhandene, Phobie handle, die alsbald unter dem Schlagwort Islamophobie in die Medien Eingang fand. Daher hätten dann die offiziellen Stellen überlegt, ob man nicht jenen, die unter dieser Krankheit litten, eine aus staatlichen Zuschüssen finanzierte Psychotherapie anbieten solle. Daraufhin hätten aber die Krankenkassen sofort und unmissverständlich Einspruch erhoben, weil unfinanzierbare Kosten befürchtet worden seien. Die Regierung habe daher von diesen Plänen wieder Abstand nehmen müssen. Es reiche auch, wenn man die Betroffenen vorerst einmal räumlich isoliere, habe die Regierung durch den ORF mitteilen lassen.
Das wiederum habe zu einer Verstimmung innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft geführt, die die Vorgangsweise der Zwangsinhaftierung mit den Konzentrationslagern und der Judenverfolgung im Dritten Reich verglichen habe. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe daraufhin die Europäische Union aufgefordert, als ersten Schritt die sogenannten gelinderen Mittel im Rahmen der „Internationalen Moralischen Erziehungsprogramme“ zu aktivieren. Aus dem Finanzrahmen dieser Aktionen solle der Ankauf des aktuellen Buches von Michel Houellebecq „Unterwerfung“ finanziert werden, um es an alle an Islamophobie erkrankten Bürger kostenlos verteilen zu können. Gleichzeitig könne man diese Personen, wenn nötig auch zwangsweise, zu einem halbjährigen Islamophobie-Workshop einladen, in dessen Rahmen an der Heilung ihre Phobie gearbeitet werden sollte.
So sei es dann auch gekommen, habe Mangold gesagt.

Nach der gründlichen Lektüre der „Unterwerfung“ Houellebecqs und dem halbjährigen WIFI-workshop, in welchem er den Koran, - wenn schon nicht gründlich, so doch in seinen wesentlichen Passagen - zu studieren angeleitet worden sei, sei es ihm psychisch tatsächlich viel besser gegangen, habe Mangold berichtet. Seine Angst vor einer Islamisierung Europas sei damit endgültig verflogen und habe einer grundsätzlich positiven Haltung gegenüber dem Islam und den Forderungen des Korans Platz gemacht. Vor allem die Aussicht darauf, dass auch er, – obwohl bereits Anfang seiner Siebziger – gleich dem Protagonisten der „Unterwerfung“ noch auf Zuteilung einer jungen attraktiven Muslima hoffen durfte, was ihm in seinen nun doch schon „bejahrten Tagen“ noch einmal einen Hauch von sexueller Ekstase zu erleben versprach, hätte ihm letztlich den Übertritt zum Islam wesentlich erleichtert. Umso mehr, als ihm bei besonderem Wohlverhalten die Möglichkeit von weiteren Zuteilungen in Aussicht gestellt wurde.

Der damit in Zusammenhang stehenden Aufforderung, seine Erfahrungen hier freimütig und öffentlich für andere zu bekunden, insbesondere für jene, deren Standpunkt noch von Zweifeln geprägt ist, sei er mit diesen Ausführungen gerne nachgekommen, habe Mangold gesagt.

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