Die massenhafte Einwanderung von
Muslimen in Europa habe ihm anfangs, das gebe er zu, wirklich lange
Zeit Sorgen gemacht, habe Mangold gesagt. Sorgen um seine und Europas
Zukunft seien es gewesen, die ihn beunruhigt hätten. Anfangs habe er
deswegen sogar Albträume gehabt. Immer wieder habe er im Traum die
Bilder von den die Grenzen stürmenden dunkelhäutigen jungen Männern
gesehen, wie sie Grenzbeamte zur Seite drängten, ohne sie in sonst in
irgendeiner Weise zu beachten. Die endgültige Kapitulation des
Rechtsstaates habe er damit einhergehen gesehen. Alle Grundsätze
eines geordneten Staatswesens, die er noch vor wenigen Jahren bei
seinem Staatsrechtsexamen auswendig habe hersagen müssen,
hätten sich innerhalb weniger Stunden in Nichts aufgelöst.
Schweißgebadet und nach Luft ringend sei er dann jedesmal
aufgewacht. Nächtelang habe sich das wiederholt, solange bis er
überhaupt darauf verzichtet habe, zu Bett zu gehen und einfach vor dem
Fernseher sitzen geblieben sei, auf das Programmende wartend, das wie
er damals immer noch geglaubt habe, durch die Bundeshymne zu einem
endgültigen Abschluss geführt werde. Seit Jahren sei er nicht mehr
solange vor dem Fernseher gesessen, wie damals in diesen schicksalhaften
Tagen, habe Mangold gesagt. Stundenlang habe er sich durch die Kanäle
gezippt. In erster Linie habe er natürlich nationale und
internationale Nachrichtensender bevorzugt, um auf dem Laufenden zu
bleiben, wie weit die Invasion der muslimischen Araber schon
fortgeschritten sei.
Einmal sei er aber dann doch eingenickt
und als er aufgewacht sei, habe er bemerkt, dass es weder einen
offiziellen Sendeschluss noch eine damit einhergehende Bundeshymne
mehr gäbe. Anfangs habe er geglaubt, den Sendeschluss und die
Bundeshymne einfach verschlafen zu haben. Dann habe er aber doch, um
Sicherheit zu haben, beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Gewaltsam habe er sich wach gehalten mit allerhand Hilfsmitteln.
Aber die Bundeshymne sei einfach nicht gekommen. Da erst habe er
verstanden. Ein Programmende gab es offensichtlich nicht mehr. Jeder
Serie folgte eine andere, nach jeder Nachrichtensendung kam eine
andere. So ging es wochenlang.
Und die Invasion hätte derweilen ungehindert
ihren Lauf genommen, ohne dass sich ihr jemand in den Weg gestellt
habe.
Im Gegenteil, habe Mangold gesagt, die
europäischen Staaten, mit Ausnahme derjenigen des ehemaligen
Ostblocks, schienen noch das Ihre dazu beizutragen, um die Invasion
zu beschleunigen. Busse seien angemietet und Sonderzüge geführt
worden. Die deutsche Kanzlerin habe eine Sondersendung nach der
anderen bedient und eine freundliche Einladung um die andere
ausgesprochen, was noch mehr Menschen ermuntert hätte, sich auf den
Weg nach Mitteleuropa zu machen. Ja, so sei das gewesen damals, habe
Mangold gesagt. Wir würden das schaffen, habe die Bundeskanzlerin
betont und der österreichische Bundeskanzler und der französische
und auch die meisten anderen, allen voran die Sozialdemokraten, die
Linken, die Kommunisten im Verband mit den Grünen, die Liberalen
nicht zu vergessen und die Kirchen hätten ihr, der Kanzlerin,
vorbehaltlos zugestimmt, hätten sie in ihrer Meinung bestärkt.
So sei es über Monate gegangen.
Anfangs seien die Invasoren, die man offiziell Flüchtlinge nannte,
nur über Griechenland und die Balkanroute gekommen, später auch
über das Mittelmeer nach Sizilien und natürlich auch über die
Meerenge von Gibraltar, von Seuta aus seien sie in großer Zahl auch
nach Spanien gekommen. Im Fernsehen seien fast immer Mütter mit
Kindern gezeigt worden, größtenteils habe es sich aber um
alleinstehende, junge, vitale Männer gehandelt, habe Mangold gesagt.
Später habe man ihnen sogar erlaubt, ihre Familienangehörigen
nachzuholen, weil Familienzusammenführung in Grundrecht sei, das man
niemandem verweigern könne, habe man gesagt. Und so sei es gekommen,
dass innerhalb von zehn Jahren, die muslimische Bevölkerung Europas
auf fast zwanzig Prozent angewachsen sei und dann sei sogar die Regierungskoalition
zwischen Konservativen, Linken und Liberalen in mehreren Ländern, vornehmlich in
Deutschland und Österreich, die einen letzten Schulterschluss versuchten, mit einem Schlag abgewählt worden
Er hingegen habe diese Entwicklung immer schon befürchtet. Diese Flüchtlingswelle, diese Invasion, habe ihm damals von Anfang an tatsächlich Angst gemacht, habe
Mangold gesagt.
Er habe immer geahnt, dass die Muslime darauf aus seien, zuerst das kulturelle und dann das politische Kommando im Staat zu übernehmen. Er habe gewusst, dass es nicht lange dauern würde, und
dann würde hier keiner mehr in die Oper gehen dürfen oder ins
Theater und die einzige Musik, die zu hören gestattet sein würde, würde der Ruf des Muezin sein. Mangold aber habe sich immer als ausgewiesener Opernliebhaber zu
erkennen gegeben, mit einer besonderen Vorliebe für das „Belcanto“,
was ihn innerhalb seiner Opernfreunde aber immer etwas degradiert
habe, da – so war die vorherrschende Meinung seiner Freunde -
wahre Opernliebhaber sich bekanntlich zu Wagner zu bekennen hätten,
habe er gesagt. Unter dieser die italienische Oper und ihn persönlich
diskriminierenden Haltung habe er immer schon gelitten, habe Mangold
gesagt.
Ja, er stehe zu seiner Angst, habe er
gesagt, obwohl Angst eigentlich nicht das richtige Wort dafür sei,
weil es sich bei Angst streng genommen um etwas Ungerichtetes, nicht
genau Definierbares handle, habe Mangold gesagt. Er hingegen habe
damals genau gewusst, wovor er Angst verspürte. Er habe eigentlich
keine Angst, er habe Furcht gehabt. Aber alle Welt habe ihm gesagt,
dass seine Furcht unbegründet sei, dass es sich um eine absolut unbegründete
Angst handle. Manche meinten sogar, dass es sich um eine, wenn auch
nur latent ausgeprägt vorhandene, Phobie handle, die alsbald unter
dem Schlagwort Islamophobie in die Medien Eingang fand. Daher
hätten dann die offiziellen Stellen überlegt, ob man nicht jenen, die unter dieser
Krankheit litten, eine aus staatlichen Zuschüssen finanzierte Psychotherapie anbieten solle. Daraufhin hätten aber die
Krankenkassen sofort und unmissverständlich Einspruch erhoben, weil
unfinanzierbare Kosten befürchtet worden seien. Die Regierung habe
daher von diesen Plänen wieder Abstand nehmen müssen. Es reiche
auch, wenn man die Betroffenen vorerst einmal räumlich isoliere,
habe die Regierung durch den ORF mitteilen lassen.
Das wiederum habe zu einer Verstimmung
innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft geführt, die die
Vorgangsweise der Zwangsinhaftierung mit den Konzentrationslagern
und der Judenverfolgung im Dritten Reich verglichen habe. Der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe daraufhin die Europäische
Union aufgefordert, als ersten Schritt die sogenannten gelinderen
Mittel im Rahmen der „Internationalen Moralischen
Erziehungsprogramme“ zu aktivieren. Aus dem Finanzrahmen dieser
Aktionen solle der Ankauf des aktuellen Buches von Michel Houellebecq
„Unterwerfung“ finanziert werden, um es an alle an
Islamophobie erkrankten Bürger kostenlos verteilen zu können.
Gleichzeitig könne man diese Personen, wenn nötig auch zwangsweise,
zu einem halbjährigen Islamophobie-Workshop einladen, in
dessen Rahmen an der Heilung ihre Phobie gearbeitet werden sollte.
So sei es dann auch gekommen, habe
Mangold gesagt.
Nach der gründlichen Lektüre der
„Unterwerfung“ Houellebecqs und dem halbjährigen WIFI-workshop,
in welchem er den Koran, - wenn schon nicht gründlich, so doch in
seinen wesentlichen Passagen - zu studieren angeleitet worden sei,
sei es ihm psychisch tatsächlich viel besser gegangen, habe Mangold
berichtet. Seine Angst vor einer Islamisierung Europas sei damit
endgültig verflogen und habe einer grundsätzlich positiven Haltung
gegenüber dem Islam und den Forderungen des Korans Platz gemacht.
Vor allem die Aussicht darauf, dass auch er, – obwohl bereits
Anfang seiner Siebziger – gleich dem Protagonisten der
„Unterwerfung“ noch auf Zuteilung einer jungen attraktiven
Muslima hoffen durfte, was ihm in seinen nun doch schon „bejahrten
Tagen“ noch einmal einen Hauch von sexueller Ekstase zu erleben versprach, hätte ihm letztlich den Übertritt zum Islam wesentlich
erleichtert. Umso mehr, als ihm bei besonderem Wohlverhalten die
Möglichkeit von weiteren Zuteilungen in Aussicht gestellt wurde.
Der damit in Zusammenhang stehenden
Aufforderung, seine Erfahrungen hier freimütig und öffentlich für
andere zu bekunden, insbesondere für jene, deren Standpunkt noch von
Zweifeln geprägt ist, sei er mit diesen Ausführungen gerne
nachgekommen, habe Mangold gesagt.
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