Prolog
Dass
den Nachkommen etwas von dem zufallen solle, was Vorfahren an
Gegenständen geschaffen oder angesammelt, an Vermögen
erwirtschaftet, an gesellschaftlicher Stellung erreicht haben, ist
ein uraltes Rechtsinstitut der Zivilisation. Dass der Nachkomme sich
deswegen manchmal genötigt sah, den dem eigenen Ruhm im Weg
stehenden Vorfahren mit brachialer Gewalt vom Leben zum Tod zu
befördern, um so endlich dessen Nachfolge antreten zu können, wie
uns nicht zuletzt durch die Geschichte des Heiligtums der Diana
Nemorensis, der Diana des Waldes der Albaner-Berge, eindrucksvoll
dokumentiert wird, mag uns heute zumindest befremdlich, wenn nicht
gar abstoßend erscheinen. Die Gewaltakte im Hain von Aricia waren
begleitet von der Gewissheit, dass dem dabei Erfolgreichen, dann,
wenn einstmals auch seine Kräfte nachgelassen haben werden,
unvermeidlich dasselbe Schicksal ereilen wird.
Wir
Zeitgenossen einer angeblich humanistisch-orientierten
Friedensperiode gehören einer Generation an, die ihre Vorfahren
meist nicht mehr mit der Axt erschlägt, obwohl sich kaum eine
Generation der gesamten Population würde finden lassen, die
berechtigt mehr Gründe gehabt hätte, ihre Vorfahren zu erschlagen,
als die unsere. Einen großen Teil der zivilisierten Welt innerhalb
eines halben Jahrhunderts zweimal in Schutt und Asche zu legen, ist
sonst niemandem gelungen als ihnen, unseren Vorgänger-Generationen.
Aber noch ist das Ende der Geschichte nicht erreicht.
Vielleicht gelingt es uns ja doch noch, die beiden
„Kriegsgenerationen“ in ihrem zerstörerischen Tun zu
übertreffen?
Unsere
Vorfahren haben, damit meine ich unsere inzwischen zu einem Großteil
bereits friedlich und durchaus auf natürlichem Wege verstorbenen
Väter und Großväter - so behaupten wir ihre Nachfolger im
Gleichklang mit ihren ehemaligen Feinden – ein Ausmaß von Schuld
auf sich geladen wie kaum eine andere Generation zuvor. Nicht nur
ihre ehemaligen Feinde auch die Historie gibt dieser
Behauptung recht. Aber wem gibt die Historie nicht recht? Wenn
es um die Zuweisung von Schuld geht, gab sie schließlich noch jedem
recht, wenn er nur geschickt genug zu fragen verstand. Also lasst uns
wohlgemut in den Hain von Aricia eintreten und die Vorfahren mit
ihrer eigenen Axt erschlagen? Diese Tat wäre wohl die einzige, die
uns endgültig reinwaschen, die endgültig Schluss machen könnte
mit den Vorstellungen der Blutsbande und der darauf sich stützenden
„säkularen Erbsünde“, mit der man uns Nachgeborene erfolgreich
und beständig in unsere Schuld verstrickt, die doch nicht die
unsere ist.
Nun, wer eine Erbfolge anzutreten
gedenkt, dem empfiehlt sich zuvor, ein Inventar zu erstellen:
Inventar
Nr. 1
Aus
dem direkten Nachlass meines Vaters fiel mir, seinem zweiten
Sohn, folgendes zu:
Erstens:
ein Schladminger, nach mehr als zwanzigjährigem
Getragenwordensein immer noch wärmend; ab Anfang Dezember oft auch
schon früher aus dem Kasten geholt; zu allen Anlässen, bei jedweder
Gelegenheit tragbar, sogar bei sportlicher Betätigung wie dem
Eisschießen, obwohl wegen seines panzerartigen Charakters freier
Bewegung äußerst hinderlich.
Zweitens:
ein etwa fünfundzwanzig Zentimeter langer (in seine Einzelteile
zerlegbarer) Fliegerdolch mit Elfenbeingriff, in verchromter
Scheide, mit zwei Anhänge-Ösen für die Verbindung zur obligaten
ledernen Uniform-Koppel, um die Taille des Trägers geschlungen; der
Dolch und das braune Band des Afrika-Corps, der Nachweis eines
Einsatzes unter General Rommel bei El Alamein, durfte ausschließlich
zur Flieger-Ausgeh-Uniform der Deutschen Wehrmacht getragen werden.
Drittens:
eine alte mit Stahlseiten bespannte Wander-Gitarre, die
in der Nachkriegszeit „im Schleich“ gegen eine viel
kostbarere Kontra- Gitarre, wenn auch gegen eine Ausgleichszahlung
von zwei Kilogramm Mehl, eingetauscht worden war.
Viertens:
ein von ihm während der Freizeit in der Waffenschmiede der Wehrmacht
von Hand hergestelltes Flugzeugmodell, alle Teile aus Flachstahl
gefertigt, Type: Doppeldecker (190 x140mm, siehe Foto), verchromt
und lackiert.
Fünftens:
ein Flobert-Gewehr, das von ihm bevorzugt zu Schießübungen
auf Spatzen verwendet wurde. Sechstens: eine alte
Werkbank, aus Großvaters Wagner-Werkstätte und eine ebenso
daraus stammende unkomplette Werkzeugausstattung, bestehend aus einer
alten schweren, elektrischen Handbohrmaschine, diversem
Klein-Werkzeug, Schraubzwingen, Schraubenzieher, zwei Reifmessern,
einem Dengelstock und einem Dengelhammer, zwei Sensen und einem
Schmiede-Schraubstock, einigen großen Holzhandbohrern, einem
Holzstiftschlagblock und nicht zuletzt ein paar Schi-Rohlingen
aus Eschenholz, ungebraucht und ohne Bindung.
Zwischenstück
Ein
paar, der mir vererbten Gegenstände, werde ich auch an meine
Nachkommen weitergeben können. Den Doppeldecker, die Werkbank, den
Holzstiftschlagblock, einige Holzhandbohrer, ebenso die Schirohlinge,
die wohl auch weiterhin niemals mit Schnee in Berührung kommen
werden.
Den
Fliegerdolch habe ich bereits als Kind in seine einzelnen Teile
zerlegt, und viele davon verloren, die letzten Teile sind dann bei
einem der zahlreichen Wohnungswechsel der Familie abhanden gekommen.
Die Wandergitarre, mit der hin und wieder, in feuchtfröhlicher
Stunde, der „Westerwald“ begleitet wurde, wurde von meinen
Kindern in übermütigem Tun ruiniert. Irgendwann einmal, in einem
unbeaufsichtigten Moment, hatten sie sich den Spaß gemacht, mit
ihren Taschenfeiteln Löcher in den Corpus zu bohren und ihn so in
Brennholz zu verwandeln. Auch das Flobert-Gewehr gibt es nun seit
mehr als dreißig Jahren nicht mehr. Zuletzt hatte es dazu herhalten
müssen, die Haus-Schlachtungen von Schweinen und Schafen zu
bewerkstelligen, bis es eines Tages endgültig den Geist aufgab, als
es darum ging, ein dem Hasenstall entlaufenes Jungtier, das, um sein
Leben zu retten, versucht hatte, sich in der Tenne hinter einer alten
Dreschmaschine zu verstecken, mit einem gezielten Schuss doch noch
dem Kochtopf zu erhalten. Die Flinte ging dabei, vermutlich auf Grund
von Alterschwäche, mit einem letzten unglaublichen Knall sowohl nach
vorne als auch nach hinten los. Der Hase war zwar getroffen und tot,
aber mir dem Schützen hatte das durch den Verschluss nach hinten
herausschlagende Pulver die rechte Augenbraue weggesengt. Das Gewehr
landete daraufhin im Alteisencontainer. Der Jung-Hase
erfreulicherweise in der Bratpfanne; leicht angebraten, mit
Wurzelwerk, Paradeisern und Rotwein eingekocht mit Peperoncini und
Erdäpfeln als Beilage.
Das
ist übrigens kein Rezept meines Vaters, obgleich er mir, das soll
nicht vergessen werden, die Liebe zum Kochen vererbte.
Inventar
Nr. 2
Aus
dem indirekten Nachlass meines Vaters fiel mir zu:
Erstens:
die Mitschuld an der millionenfachen Vernichtung von Menschen
jüdischen Glaubens in den Vernichtungslagern des sogenannten Dritten
Reiches.
Zweitens:
die Mitschuld an etwa 60 Millionen Kriegstoten des Zweiten
Weltkriegs.
Drittens:
die Mitschuld an der Deportierung und Vernichtung einer großen
Anzahl von Roma, Sinti, Lowara und Kalderasch, von homosexuell
veranlagten oder behinderten Menschen und vielen politischen Gegnern
des NS-Regimes.
Viertens:
die Mitschuld daran, dass ein Großteil der deutschsprechenden
Intelligenz, um ihr Leben zu retten, ins Ausland emigrieren musste.
Fünftens:
die Mitschuld an der Ausbeutung von zwangsarbeitenden
Kriegsgefangenen.
Sechstens:
die Mitschuld an wiederaufkeimenden antisemitischen Tendenzen in der
Nachkriegszeit.
Siebtens:
die Mitschuld an der mangelhaften Entnazifizierung der öffentlichen
Ämter in der Zweiten Republik.
Achtens:
die Mitschuld an der Restitutionsunwilligkeit der Zweiten Republik,
die sich bekanntlich lange und standhaft weigerte, das einstmals
arisierte Privateigentum jüdischer Bürger, insbesondere deren
Kunstgegenstände, zurückzuerstatten.
Neuntens:
die Mitschuld an der Weiterverwendung ehemaliger NSDAP- Mitglieder
als Lehrer und Professoren im öffentlichen Bildungswesen.
Zehntens:
die Mitschuld ……. …….
Epilog
Geht
man vom Normalfall aus, würde man beim Ableben eines Vorfahren als
präsumtiver Erbe gefragt werden müssen, ob man wirklich ernsthaft
Willens sei, das Erbe anzutreten oder ob man sich lieber des Erbes
entschlagen möchte. In jedem Falle wäre es üblich, ein Inventar
wie oben zu erstellen, in dem alle Positiva und Negativa
aufgelistet, helfen sollten, eine wohldurchdachte Entscheidung
herbeizuführen. Angesichts des hier erstellten, wäre der
Wunsch, das Erbe abzulehnen, nicht sonderlich schwer verständlich.
Dass
man uns Nachkommen zu fragen vergaß, sollte, im Wissen, dass
schon der Versuch der Entschlagung als unverzeihliche Negation des
Geschehenen, als unentschuldbare Relativierung
nationalsozialistischer Gräuel und Missachtung der zahlreichen
Opfer, wenn nicht gar als Wiederholungstat beurteilt würde, dennoch
nicht unerwähnt bleiben.
© Max
Untier 2015
©
Foto: Max Untier, (Doppeldecker-Modell, Stahl verchromt und lackiert,
14,5 x 19 cm)
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