Dienstag, 25. November 2014

Hoffnungen, Utopien und andere Illusionen Teil 4



Heute – wie damals - geht man mit Utopisten nicht besonders freundlich um.

Wer denkt im Zusammenhang mit dem Wort Utopie noch an den englischen Staatsmann Thomas Morus, der in seinem Roman „Utopia“ [1]  angeblich eine nach seinen Maßstäben ausgerichtete „ideale“ Gesellschaft beschreibt. Der Tatsache, dass er die Hauptperson des Romanes ausgerechnet „Raphael Hytlodeus“[2] nannte, wäre schon deshalb Bedeutung zuzumessen, weil damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass es sich eben weniger um ein tatsächlich konzipiertes Ideal eines Staates handelt, als vielmehr um ein fiktives Gedankenspiel, in dem viele Denker [3] der Zeit auch die von ihnen vertretenen Ideen wiederzuerkennen glaubten. Dass Morus letztlich  am 6. Juli 1535 dem Henker seines Königs zum Opfer fiel, hatte allerdings weniger mit seinem Werk Utopia als mit seiner standhaften Weigerung zu tun, die Suprematie des Königs über die englische Kirche anzuerkennen.

Seither scheint nichts besser geeignet, einer Idee den Garaus zu machen, als sie als Utopie zu bezeichnen, sagen Realisten. Bei sonstiger Wirkungslosigkeit von sachlich und rational durchstrukturierter Kritik, ist die Beifügung „utopisch“ in ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit gleichzusetzen mit einem Todesurteil bei sofortiger Vollstreckbarkeit.

Ähnliches gilt auch für Visionen.
Wenn man Visionen habe, solle man möglichst rasch und unauffällig einen Psychiater aufsuchen, heißt es in Österreich zumindest seit eines legendären „Sagers“ der 1990er Jahre. Zu untersuchen wäre, ob damit vielleicht auch schon eine Tendenz zur Pathologisierung gesellschaftlicher Phänomene eingeleitet wurde, die heute in schier zahllosen Sozialphobien  ihrem Höhepunkt zuzustreben scheint, deren argumentativ beliebtesten  Ausläufer  derzeit als  Islamophobie und die Homophobie ihr Unwesen treiben.

Die moderne Welt erfordere weder Utopien noch Visionen, sie erfordere nur eines: pragmatisch zu denken!
Pragmatik sei die Stärke des modernen Menschen, sei die Stärke der neuen Generation, die Stärke der Macher, der Mac-Job-Generation, der Flexiblen, der Job-Hüpfer. „Unsere“ politische Elite gab uns diesbezüglich zahlreiche Lehrstücke: der ehemalige Bundeskanzler der Wirtschaftsmacht Deutschland, Schröder, seines Zeichens – angeblich -„Sozialdemokrat“ stellt sich in die Dienste der russischen GAZPROM, der ehemalige österreichischen Bundeskanzler Klima entdeckte kurz nach dem Ausscheiden aus seinem Amt – vielleicht aber auch schon vorher - sein Herz für den Volkswagenkonzern und einer seiner Nachfolger, der angeblich schon als Kind in der Sandkiste davon träumte, Österreich einmal „als Bundeskanzler seinen Stempel aufzudrücken“, stand, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, im Dienste  Weißrusslands.
Aufmerksame Beobachter der gesellschaftlichen Ereignisse sind ohne besonderen Aufwand in der Lage, diese Beispiele beliebig zu ergänzen.

In Zeiten, in denen die Versuche Visionen und Utopien darüber zu entwickeln, wie sich ein „besseres Leben für alle“ gestalten ließe,  bevorzugt öffentlich verlacht werden, ist es nicht nur leicht, seine Überzeugungen für ein paar Silberlinge  über Bord zu werfen, es darf dabei auch auf größeres Verständnis, sogar auf gesellschaftliche Akzeptanz gehofft werden.
Als Meinungsforscher würde man sagen: Eine große Schwankungsbreite hat sich aufgetan:  „No future“ oder besser  „Alles ist möglich“!

Dennoch haben immernoch viele Menschen Visionen! Allerdings mit dem „klitzekleinen“ Unterschied, dass diese, weil sie meist nur mehr die Egoismen der eigenen Person betreffen, fast nur mehr im „vertrauten Kreis“ und auch dort nur zwischen den Zeilen geäußert werden!


[1] Utopia bedeutet soviel wie „Nicht-Ort“, aus dem Griechischen. Originaltitel des Werks: „De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia », die erste englische Ausgabe erschien 1551 in London, sechzehn Jahre nachdem Thomas Morus gestorben war.
[2]  Raphael Hytlodeus tritt als Reisegefährte von Amerigo Vespucci auf;  „Hytlodeus“  bedeutet etwa „Schaumschläger“, „Possenreißer“, er stellt also jemanden dar, dessen Reden man nicht wirklich trauen kann;
[3] Es ist kein Zufall, dass sogleich nach Fertigstellung des Manuskripts ein Exemplar an Erasmus von Rotterdam ging, der - wie viele andere Gelehrte seiner Zeit auch  - dem Werk Beifall zollte und es weiterempfahl.