Heute – wie damals - geht man
mit Utopisten nicht besonders
freundlich um.
Wer denkt im Zusammenhang mit
dem Wort Utopie noch an den
englischen Staatsmann Thomas Morus, der in seinem Roman „Utopia“ [1] angeblich eine nach seinen Maßstäben ausgerichtete „ideale“ Gesellschaft
beschreibt. Der Tatsache, dass er die Hauptperson des Romanes ausgerechnet „Raphael
Hytlodeus“[2]
nannte, wäre schon deshalb Bedeutung zuzumessen, weil damit zum Ausdruck
gebracht werden sollte, dass es sich eben weniger um ein tatsächlich
konzipiertes Ideal eines Staates handelt, als vielmehr um ein fiktives
Gedankenspiel, in dem viele Denker [3]
der Zeit auch die von ihnen vertretenen Ideen wiederzuerkennen glaubten. Dass
Morus letztlich am 6. Juli 1535 dem
Henker seines Königs zum Opfer fiel, hatte allerdings weniger mit seinem Werk Utopia als mit seiner standhaften
Weigerung zu tun, die Suprematie des Königs über die englische Kirche
anzuerkennen.
Seither scheint nichts besser
geeignet, einer Idee den Garaus zu machen, als sie als Utopie zu bezeichnen, sagen Realisten. Bei sonstiger
Wirkungslosigkeit von sachlich und rational durchstrukturierter Kritik, ist die
Beifügung „utopisch“ in ihrer Wirkung
auf die Öffentlichkeit gleichzusetzen mit einem Todesurteil bei sofortiger
Vollstreckbarkeit.
Ähnliches gilt auch für
Visionen.
Wenn man Visionen habe, solle man möglichst rasch und unauffällig
einen Psychiater aufsuchen, heißt es in Österreich zumindest seit eines
legendären „Sagers“ der 1990er Jahre. Zu untersuchen wäre, ob damit
vielleicht auch schon eine Tendenz zur Pathologisierung gesellschaftlicher
Phänomene eingeleitet wurde, die heute in schier zahllosen Sozialphobien ihrem
Höhepunkt zuzustreben scheint, deren argumentativ beliebtesten Ausläufer
derzeit als Islamophobie und
die Homophobie ihr Unwesen treiben.
Die moderne Welt erfordere
weder Utopien noch Visionen, sie erfordere nur eines: pragmatisch zu
denken!
Pragmatik sei die Stärke des
modernen Menschen, sei die Stärke der neuen Generation, die Stärke der Macher,
der Mac-Job-Generation, der Flexiblen, der Job-Hüpfer. „Unsere“ politische Elite
gab uns diesbezüglich zahlreiche Lehrstücke: der ehemalige Bundeskanzler der
Wirtschaftsmacht Deutschland, Schröder, seines Zeichens – angeblich
-„Sozialdemokrat“ stellt sich in die Dienste der russischen GAZPROM, der
ehemalige österreichischen Bundeskanzler Klima entdeckte kurz nach dem
Ausscheiden aus seinem Amt – vielleicht aber auch schon vorher - sein Herz für
den Volkswagenkonzern und einer seiner Nachfolger, der angeblich schon als Kind
in der Sandkiste davon träumte, Österreich einmal „als Bundeskanzler seinen
Stempel aufzudrücken“, stand, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, im
Dienste Weißrusslands.
Aufmerksame Beobachter der
gesellschaftlichen Ereignisse sind ohne besonderen Aufwand in der Lage, diese
Beispiele beliebig zu ergänzen.
In Zeiten, in denen die
Versuche Visionen und Utopien darüber zu entwickeln, wie sich ein „besseres
Leben für alle“ gestalten ließe, bevorzugt öffentlich verlacht werden, ist es
nicht nur leicht, seine Überzeugungen für ein paar Silberlinge über Bord zu
werfen, es darf dabei auch auf größeres Verständnis, sogar auf gesellschaftliche
Akzeptanz gehofft werden.
Als Meinungsforscher würde
man sagen: Eine große Schwankungsbreite hat sich aufgetan: „No
future“ oder
besser „Alles
ist möglich“!
Dennoch haben immernoch viele
Menschen Visionen! Allerdings mit dem „klitzekleinen“
Unterschied, dass diese, weil sie meist nur mehr die Egoismen der eigenen
Person betreffen, fast nur mehr im „vertrauten Kreis“ und auch dort nur zwischen den Zeilen geäußert werden!
[1] Utopia bedeutet soviel wie „Nicht-Ort“, aus dem
Griechischen. Originaltitel des Werks: „De optimo statu rei publicae
deque nova insula Utopia », die erste englische Ausgabe erschien 1551 in London, sechzehn Jahre
nachdem Thomas Morus gestorben war.
[2] Raphael Hytlodeus tritt als Reisegefährte von
Amerigo Vespucci auf; „Hytlodeus“ bedeutet etwa „Schaumschläger“,
„Possenreißer“, er stellt also jemanden dar, dessen Reden man nicht wirklich trauen
kann;
[3] Es ist kein Zufall, dass sogleich nach Fertigstellung
des Manuskripts ein Exemplar an Erasmus von Rotterdam ging, der - wie viele andere
Gelehrte seiner Zeit auch - dem Werk
Beifall zollte und es weiterempfahl.